Märzsitzung des Stadtparlaments

Kennen Sie FSA+?

Der grössere Teil unserer Leserschaft dürfte mit diesem Kürzel wenig anfangen können. FSA steht für „freiwilliges Schulhausangebot“ (umgangssprachlich auch als „Mittagstisch“ bekannt). Das „+“ drückt die zusätzliche Tagesbetreuung aus. Wir bewegen uns somit auf schulpolitischem Terrain, einem der am häufigsten diskutierten Themenkreise im Stadtparlament. Angesichts der Tatsache, dass der Bildungsbereich rund 38 Prozent des städtischen Steuersubstrats beansprucht, überrascht diese Gewichtung nicht. Die Direktion Schule und Sport (ab Mai 2017 als Direktion „Bildung und Freizeit“ unterwegs…) hat dem Stadtparlament einen 104 Seiten (!) starken Postulats-Bericht vorgelegt. Der Wälzer mit dem Titel „Planung und Ausbau der FSA+ Angebote“ geht auf eine FSA+-Vorlage im Schulquartier Rotmonten-Gerhalden zurück, in deren Folge das  alte „Schulhüsli“ an der Kirchlistrasse für einen exorbitant hohen Betrag anders hätte genutzt werden sollen. Das Parlament hatte dieses Ansinnen im Frühsommer 2015 versenkt; die Baukommission verlangte eine breite Auslegeordnung der Schulraumplanung, um solche Vorlagen auch besser einordnen zu können. Der umfangreiche Bericht liegt nun vor und war Gegenstand des 1. Traktandums der gestrigen Sitzung. Um es vorwegzunehmen: Der Bericht wurde fast einhellig als gute, ausführliche und hilfreiche Auslegeordnung gelobt. Materiell haben sich (fast) alle Parteivertreter mit dem Inhalt des Berichts einverstanden erklärt. Im Wesentlichen umschreibt der Bericht das Ziel des Stadtrates, nach und nach in der ganzen Stadt ein flächendeckendes FSA+-Angebot zur Verfügung zu stellen, was selbstredend viel Geld kosten wird. Wenden wir heute rund 15 Mio. Franken jährlich für die Schulbauten aus, wird sich dieser Wert ab 2018 voraussichtlich um rund 4 Mio. Franken pro Jahr erhöhen. Und dennoch: Der Bedarf nach einem solchen Angebot ist aus Sicht der Parlamentsmehrheit unbestritten.

Kinder outsourcen?

Das Parlament hat seinem Namen alle Ehre gemacht, nahmen die Beratungen zum FSA+-Bericht gestern doch geschlagene zwei Stunden in Anspruch. Bemerkenswert ist dies, da sich die Fraktionen von links bis rechts grundsätzlich einig waren; der Bericht ist sehr gut und seine Grundrichtung stimmt. Aus der Zeit – und auch gehörig aus dem Rahmen – gefallen ist gestern einzig SVP-Vertreter Christian Neff, der in fast schon beleidigender Art und Weise über all jene Eltern herzog, die sich als Doppelverdiener dazu hinreissen lassen, ihren Nachwuchs betreuen zu lassen (gemäss Neff werden Kinder in diesen Fällen wie „Outsourcing-Produkte“ behandelt). Das staatlich alimentierte FSA+ Angebot ist aus Neff’scher Sicht einzig für jene Fälle vertretbar, wo beide Elternteile aus wirtschaftlich-finanziellen Gründen arbeiten müssen. Alle anderen modernen Lebenswirklichkeiten existieren in diesem Weltbild offensichtlich nicht. Immerhin blieb Christian Neff mit seiner Argumentation ziemlich einsam – dies mutmasslich auch in seiner eigenen Fraktion…

Rote Linien:

Wesentlich differenzierter äusserte sich Neo-FDP-Vertreter Karl Schimke, der in seinem ersten Votum im Rat insbesondere auf drei liberale Anliegen verwies, die er – bei allem Lob für den Bericht – platzierte: So seien einerseits die Tarifgestaltung kritisch zu hinterfragen (Eltern, die es sich leisten können, sollten für die FSA+-Angebote auch mehr zahlen müssen) und andererseits die Qualifikationsansprüche an das betreuende Personal in den FSA+-Institutionen am gesunden Menschenverstand auszurichten (Verzicht auf übertriebene formelle Anforderungen ans Personal). Namens der FDP-Fraktion bezeichnete Schimke die Ausdehnung des geplanten Konzepts auf die Oberstufe als „rote Linie“, die nicht überschritten werden darf. Es kann nicht Aufgabe des Staates (bzw. der Stadt) sein, die Bürger von der Wiege bis zur Bahre zu betreuen respektive zu „bemuttern“. Spätestens ab der Oberstufe darf ein gewisses Mass an Selbstverantwortung eingefordert werden. Das Parlament hat den Bericht und die damit verbundenen Anträge nach dem erfolgreich absolvierten Redemarathon fast einstimmig genehmigt und den Postulatsbericht als erledigt abgeschrieben.

Flughafen Berlin lässt grüssen:

Sehr zur Freude der Langsprecher gab es gestern noch ein zweites Traktandum, das sich trefflich diskutieren liess. Und auch hier fielen die Meinungsäusserungen ungewohnt einhellig aus. Die Rede ist vom Zusatzkredit zum Rahmenkredit für Wasserleitungssanierungen in der Legislaturperiode 2009-12, der bereits in der Vergangenheit einigen Unmut erregt hatte. Was technisch-unsexy respektive harmlos klingt, ist eigentlich kaum zu glauben: Der beantragte (und längst ausgegebene) Zusatzkredit von 2,43 Mio. Franken zum gewährten Rahmenkredit von ursprünglich 12,2 Mio. Franken wurde nötig, weil der ursprüngliche Rahmenkredit um über 25 Prozent überschritten worden war! Wohlbemerkt: Die Rede ist von einem Rahmenkredit aus der vorletzten Legislatur. Mittlerweile weiss man, dass es keine Kostenkontrolle gab und folglich kein Mensch wusste, wo die Kosten standen. Durchschnittlich dauerte es sage und schreibe 680 Tage (!) bis zur Rechnungsstellung. Mit anderen Worten: Es wurde gebaut und munter Geld ausgegeben, ohne dass sich jemand ernsthaft fragte, ob noch Mittel aus dem Rahmenkredit vorhanden sind. Da kommt einem spontan unweigerlich der Flughafen Berlin in den Sinn, dessen finanzielle Irrfahrt allerdings weitaus verheerendere Konsequenzen zeitigt. Trotzdem stellt das Gebaren eine Ungeheuerlichkeit dar, die den städtischen Steuerzahler nur den Kopf schütteln lässt. Für den skurrilen Aufritt bei der Behandlung dieses Traktandums war SP-Vertreter Beat Weber besorgt. Er dozierte über den Unterschied zwischen einem Rahmenkredit und der zeitlichen Dimension einer Abrechnung und beteuerte, Zusatzkredite seien „an sich“ weder illegal noch unmoralisch. Ein Widerspruch sei erlaubt: Wer so unbedarft mit Steuergeldern umgeht, der muss sich schon fragen, ob er im richtigen Film sitzt.