Januarsitzung des Stadtparlaments

Präsidentenwahl I:

Das Stadtparlament startet traditionellerweise festlich ins neue Geschäftsjahr, denn die erste Amtshandlung des Hauses besteht in der Neuwahl der Präsidentin respektive des Präsidenten. Diese Wahl folgt einem zwischen den Parteien vereinbarten Turnus. Wer als höchster St.Galler amten soll, kann jene Partei, die an der Reihe ist, selber bestimmen. Es gehört zu den ungeschriebenen Regeln des Stadtparlaments, dass diese Person dann auch gewählt wird. In diesem Sinne stellt das erste Traktandum der Januarsitzung jeweils eine Formsache dar – Überraschungen sind weitgehend auszuschliessen: Und so nahm Heini Seger, langjähriger SVP-Stadtparlamentarier, gestern auf dem Thron Platz – wir gratulieren dem neuen „höchsten St.Galler“ herzlich und wünschen ihm eine spannende, erfolgreiche und lehrreiche einjährige Amtsdauer. Heini Seger wird nun unzählige Vereins- und sonstige Versammlungen besuchen, dabei Kurzansprachen halten und die Stadt nach bestem Wissen und Gewissen repräsentieren. Eine aufwändige, aber wichtige Aufgabe. Und auch eine schöne Schweizer Tradition. Es ist die Gelegenheit, den Bürgerinnen und Bürgern die Politik näher zu bringen.

Liberaler Stallgeruch:

Am Rande sei erwähnt, dass Heini Seger der FDP und ihren Idealen durchaus nahe steht, begann er doch seine politische Laufbahn ursprünglich in unserer Partei. Wie viele andere hat ihn aber offenbar die damalige Haltung zum Europäischen Wirtschaftsraum EWR in die Arme der SVP getrieben. Ganz verlassen hat ihn das liberale Gen allerdings nicht, denn einer seiner Söhne möchte nun auch in die Politik einsteigen – und zwar bei der FDP! Lieber Heini Seger: wir sind nicht gram ob des Parteiwechsels, denn liberale Positionen tun auch der SVP gut. Und solltest du dereinst einmal Heimweh nach dem liberalen Original haben: wir sind immer offen für Rückkehrer…!

Präsidentenwahl II:

Wie es sich gehört, verabschiedete sich Thomas Meyer (CVP), der scheidende Präsident des Stadtparlaments, mit einer kurzen Dankesrede aus dem Amt und übergab das Zepter dann an seinen Nachfolger. Neben Heini Seger wurde gestern auch das Vizepräsidium neu bestellt: Mit Franziska Ryser rückt eine selbstbewusste, intelligente und beeindruckende ETH-Absolventin auf den „Warteposten“ des Präsidium nach; nächstes Jahr wird sie dann als Nachfolgerin von Heini Seger gewählt werden – diese Prognose lässt sich heute schon wagen. Die „junge Grüne“ ist eine in der Wolle gewaschene Stadt St.Gallerin mit Wurzeln bis ins Figurentheater und in ein stadtbekanntes Optikergeschäft, eine „vraie citoyenne“, wie es die Fraktionschefin Cécile Federer treffend formulierte. Wir gratulieren auch Franziska herzlich zum neuen Amt und ermuntern sie, Heini Seger gut zu beobachten. Nächstes Jahr wird es dann für sie „ernst“ gelten.

Routine zum Auftakt:

Nach diesen Wahlgeschäften hat das Parlament dann seine „normale“ Tätigkeit mit zunächst eher trockenen und unpolitischen Vorlagen aufgenommen. Neben Druckreduktions- und Messstationen der Erdgasversorgung haben wir neuen Wasser- und Erdgasleitungen und Logistikbauten des Kehrichtheizkraftwerks ohne grosse Diskussion zugestimmt.

Die Linke und die Mottenkiste:

Dann aber wurde es Zeit für die erste ideologisch gefärbte Philippika des Jahres 2016: Anlass dazu bot das aus den Reihen der FDP lancierte Postulat „Pfalz der Politik“. Dieses wirft die Frage auf, ob der Tagungsort des Stadtparlaments verlegt werden soll – vom Waaghaus (wo es seit 1963 gastiert) in die Pfalz, also den ehemaligen Festsaal des Fürstabts und heutigen Kantonsratssaal. SP-Fraktionschef Daniel Kehl redete sich förmlich in Rage und bemühte etwas gar viele Bilder aus der politischen und gesellschaftlichen Mottenkiste, um unsern Vorstoss zu verteufeln. Weshalb er dies tat, bleibt rätselhaft. Natürlich kann man der Ansicht sein, dass das städtische Parlament einen eigenen Saal benötigt. Und natürlich ist es legitim, auf die Geschichte zu verweisen und den früheren bewussten Entscheid des damaligen Parlaments, ins Waaghaus einzuziehen. Dass man aber den Kulturkampf wieder aufleben lassen will und der „reformierten“ FDP vorwirft, sie würde in die „katholische“ Pfalz wechseln und damit ihre eigenen Ideale verraten, ist dann doch des Guten zu viel. Noch einen drauf setzte dann SP-Mann Gallus Hufenus, der gar von „Frevel“ und „Hochverrat“ sprach. Bei nüchterner Betrachtung ist es allerdings schlicht vernünftig, den Umzug in die Pfalz tatsächlich zu erwägen: Dort gibt es einen perfekt eingerichteten, repräsentativen und mit einer Abstimmungsanlage ausgerüsteten Saal. Es hat genügend Platz und eine sehr gute Infrastruktur. Würde man das Waaghaus auf einen ähnlichen Stand bringen wollen, würde dies die Steuerzahler Millionen kosten, was die Bürgerschaft wohl zu Recht kaum verstehen würde. Immerhin hat die Stadt wesentlich dringendere Renovationsbedürfnisse, etwa bei den Schulhausbauten. So gesehen war es nicht mehr als vernünftig, dass der Rat unser Postulat gestern für erheblich erklärt hat. Sogar einige Linke stimmten dem Vorstoss schliesslich zu.

Impuls für Marktplatz-Diskussion:

Aus Sicht der FDP ebenso erfreulich ist die Tatsache, dass das  Parlament in der Folge auch das zweite von uns in die Diskussion eingebrachte Postulat für erheblich erklärt hat: Der Stadtrat hat nun die Möglichkeiten zu prüfen, inwiefern das Erdgeschoss des Waaghauses als Ort für einen ständigen Markt geeignet ist. Der Rest des Gebäudes soll einer neuen Nutzung kultureller, gastronomischer oder sonstiger Art zugeführt werden. Überdies soll das „Taubenloch“ unter dem Blumenmarkt in diese Nutzungsüberlegungen miteinbezogen werden. Wir erhoffen uns dadurch insbesondere, dass nun endlich wieder Bewegung in die blockierte Frage kommt, was mit dem zentralsten und wichtigsten Platz der Stadt zwischen Union und Waaghaus (inklusive!) geschehen soll. Es bleibt spannend – auch 2016. Der Auftakt ist gestern aus liberaler Perspektive jedenfalls gelungen. Wir haben uns auf der ganzen Linie durchsetzen können. Das macht Lust auf mehr!