Mobile Mulitalente: die Handwerker der Frühen Neuzeit

Medienmitteilung der Stadtpartei 

Elisabeth Zwicky Mosimann (rechts) begrüsst zum Referat von Dr. phil. Nicole Stadelmann, Co-Leiterin Stadtarchiv

Nicole Stadelmann, Co-Leiterin Stadtarchiv, über die St.Galler Handwerkskunst

Anlässlich des Morgenstamms der FDP Stadt St.Gallen gewährte die Co-Leiterin des Stadtarchivs Dr. phil. Nicole Stadelmann Einblicke in ihre Dissertation über die St.Galler Handwerkswirtschaft in der Frühen Neuzeit. Anfangs des 18. Jahrhunderts waren sowohl Handwerker als auch Handwerkerinnen beruflich und räumlich sehr mobil. Insbesondere Handwerkerinnen waren von den 75% aller handwerklich Tätigen in der Stadt St.Gallen nicht wegzudenken. Da sie nicht erst eine Lehre abschliessen mussten, brachten sie meist schon früh ein regelmässiges Einkommen nach Hause.

Dr. phil. Nicole Stadelmann ist Co-Leiterin des Stadtarchivs und der Vadianischen Sammlung der Ortsbürgergemeinde St.Gallen. Vor eineinhalb Jahren reichte sie ihre Dissertation über St.Galler Handwerkerinnen und Handwerker in der Frühen Neuzeit an der Universität Bern ein. Ihre Informationen zur Zunftstadt St.Gallen musste sie sich allerdings über Umwege beschaffen. Sie zog Steuerbücher und Gerichtsprotokolle aus dem Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde zu Rate. Gerade Handwerkerinnen tauchten dort jeweils nur in einer Nebenrolle auf. Warum sie aber dennoch wichtig für die Gesellschaft der Frühen Neuzeit waren, erklärte Nicole Stadelmann anlässlich des Morgenstamms der FDP Stadt St.Gallen vom 6. Juni 2023 in der DenkBar.

Multitalent: der St.Galler Handwerker in der Frühen Neuzeit

Politiker, Bäcker und Nürnberger Bote: Hermann Schirmer konnte alles. Der St.Galler Handwerker begnügte sich in den 1730er Jahren nicht mit einem einzigen Beruf. So wie ihm erging es vielen Handwerkern, erzählte Nicole Stadelmann den Teilnehmenden des Morgenstamms. Nur wer in seinem Handwerk wirklich herausstach, musste nicht pluriaktiv tätig sein. Zu jener Blütezeit waren etwa 75% aller St.Galler handwerklich tätig. Zeitgleich zeichnete sich eine zunehmende Verarmung der Bevölkerung ab. Auch Hermann Schirmer lebte schliesslich in sehr armen Verhältnissen. Die historischen Quellen berichten, dass er als Politiker über mehrere Jahre eine fehlerhafte Buchhaltung geführt habe.

Mobilität als wirtschaftliche Strategie

Entgegen dem allgemeinen Glauben waren die St.Galler Handwerkerinnen und Handwerker nicht sesshaft. «Sie pendelten zwischen verschiedenen Berufen und Standorten.», berichtete Nicole Stadelmann, «Es war ein Kommen und Gehen.» Einerseits leisteten Männer Solddienst, andererseits zogen sie auch die Familie in ihre mobile berufliche Planung mit ein. Stadelmann nannte Beispiele von Handwerkern, die vorübergehend nach Arbon oder Lindau für die Arbeit reisten und später wieder bei ihren Ehefrauen wohnten. Frauen kannten zudem die Heiratsmobilität: Je nach Standort wechselten sie ihre Konfession.

Starke St.Galler Handwerkerinnen

Die Stadt St.Gallen beabsichtigte 1739 eine Kürzung der Almosen und veranlasste deshalb eine Volksbefragung. Aus diesen Daten lassen sich heute viele Schlüsse über die damaligen Berufe der Bedürftigen ziehen. Frauen arbeiteten überwiegend im Textilbereich, beschäftigten sich aber auch mit Bekleidungshandwerk und bezahlter Haushaltsarbeit. Zudem hatten Frauen schon sehr früh ein regelmässiges Einkommen. Während Jungs mit 14 Jahren zunächst eine Lehre anfingen, so brachte manch ein Mädchen bereits mit 10 Jahren den ersten Lohn nach Hause. Eines hatten aber alle Handwerkerinnen und Handwerker gemeinsam, von denen Nicole Stadelmann an diesem Dienstagmorgen berichtete: Sie hatten mehrere Konflikte mit der Obrigkeit und anderen städtischen Institutionen. Ein Glück, denn nur deshalb wissen wir heute über sie Bescheid.