Der ehemalige Stadtpräsident und Kantonsrat Thomas Scheitlin gibt einen Einblick in den politischen Alltag und was danach kommt
Das Zurücktreten von einem politischen Amt ist gleichbedeutend mit einem Abschied. Wenn man Altes zurücklässt, erhält man jedoch stets die Möglichkeit, dass Neues entstehen kann. Ein Abschied ist also zugleich auch ein Startpunkt. Wie sich das Loslassen und das Anpacken von Neuem gestalten können, erklärt der ehemalige Stadtpräsident und Kantonsrat Thomas Scheitlin in seinem Vortrag mit dem Titel «Servir et disparaître…!?».
Am Dienstag, 7. Juni 2022, haben interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer in der DenkBar zum Morgenstamm der FDP zusammengefunden. Zu Gast war der ehemalige Stadtpräsident und Kantonsrat Thomas Scheitlin, der in seinem Vortrag einen persönlichen Einblick in seinen Abschied von politischen Ämtern und seine Zukunftspläne gab.
Macht – um zu dienen
Der Titel des Vortrags ist zugleich auch Programm im politischen Wirken und Rücktritt Thomas Scheitlins. Es handelt sich dabei um ein Diktum Friedrichs des Grossen: «Servir et disparaître…!?». In diesem Fall jedoch wurde es um ein Ausrufe- und Fragezeichen ergänzt und liefert einen roten Faden, sowohl durch den Vortrag als auch auf seinem persönlichen Weg. Dieses Diktum sollten sich demnach alle zu Herzen nehmen, die ein politisches Amt innehaben oder verlassen.
Im Dienste St.Gallens
«Servir» (dienen) bedeutet für Scheitlin Engagement mit Herz und Überzeugung in der politischen Arbeit. Dieses Herzblut floss im Besonderen in die Stadt und den Kanton St.Gallen. Die Stadt soll seiner Vision nach zum Zentrum des Bodenseeraums werden. Ein starker Wirtschaftsstandort mit einer hohen Lebensqualität stand für ihn als entscheidender Erfolgsfaktor im Fokus seines Dienens.
Das Ziel stets vor Augen
Zu einem erfolgreichen Dienen gehören unzählige Aspekte und viel harte Arbeit. Scheitlin vergleicht die Komplexität seiner Arbeit mit dem Leiten eines Grossunternehmens. Innovation, Start-up-Förderung, Netzwerke für Firmen aus Informatik und Gesundheit waren nebst Kultur und Finanzen Schwerpunkte in seinem politischen Wirken. Erfolgreich und konsequent zu dienen heisst auch, sich auf die Komplexität des Unterfangens einzulassen und das Ziel dabei nie aus den Augen zu verlieren.
Pensionierung als neuer Startpunkt («réapparaître»)
«Disparaître» (verschwinden) ist nicht gleichbedeutend mit Untätigkeit oder Unsichtbarkeit. Es ist vielmehr eine Möglichkeit, sich neuen Projekten, Leidenschaften und Engagements zu widmen. Die Rente ist daher kein «Grounding» – wie dies Scheitlin scherzhaft nennt –, sondern ein Moment, der es ermöglicht, sich Gedanken darüber zu machen, wofür künftig das Herzblut und Knowhow eingesetzt werden sollen. In diesem Sinne verweist das «disparaître» auf ein Verschwinden aus der Politik, nicht jedoch aus unzähligen anderen Bereichen, in denen man mit neuem Engagement in Erscheinung treten kann («apparaître»).
Vertrauen und viele Möglichkeiten
Nach getaner politischer Arbeit, in die viel Herzblut geflossen ist, fällt ein Abschied oft schwer. Um jedoch wirklich von der Politik Abschied und Neues in Angriff nehmen zu können, benötigt es Vertrauen in die eigene Arbeit und Nachfolge. Oder wie dies Scheitlin formuliert: «Zuerst muss man selbstbewusst und erfolgreich dienen, um nachher mit seiner Erfahrung wieder dienen zu können». Wenn man überzeugt ist, im politischen Wirken das Richtige gemacht zu haben, kann man auch ruhigen Gewissens Abschied nehmen und die neuen Möglichkeiten in vollen Zügen geniessen.